Im Juni soll das Murena One in Europa erhältlich sein – ein Android-Smartphone, das angeblich komplett ohne Google-Dienste auskommt. Erfolgsversprechendes Konzept oder purer Idealismus? Schon jetzt zeigt sich, dass der Google-Detox nicht so einfach ist.
Ein Bewerbungsgespräch in einer Stadt, die man kaum kennt? Kein Problem, es gibt ja Google Maps. Schnell ein paar Dokumente mit Arbeitskollegen teilen? Kein Problem, es gibt ja Google Drive. Mal eben nachschauen, wie das Restaurant heißt, das nebenan aufgemacht hat? Kein Problem, es gibt ja Google Chrome.
Für viele Android-Nutzer sind Google-Dienste kaum aus dem Alltag wegzudenken. Nicht nur, weil sie praktisch sind, sondern auch, weil sie auf den meisten Android-Smartphones vorinstalliert sind. Doch es geht auch anders. Das Unternehmen Murena hat vor Jahren beschlossen, eine einfach zu nutzende, aber Google-freie Android-Variante ins Leben zu rufen.
Das ist den Verantwortlichen gelungen. Und mehr noch: Bald erscheint das sogenannte „Murena One“, ein Smartphone, das mit der Google-freien Software /e/OS 1.0 ausgestattet ist. Das Gerät soll Berichten zufolge schon Mitte Juni in Europa, aber auch Großbritannien, der Schweiz oder den USA und Kanada erhältlich sein.
349 Euro kostet das Handy, das über einen Helio-P60-Prozessor von Mediatek und einen 6,53 Zoll großen IPS-Bildschirm mit einer Auflösung von 2.242 x 1.080 Pixeln verfügt. Der Arbeitsspeicher liegt bei 4 Gigabyte, der eingebaute Flash-Speicher umfasst 128 Gigabyte. Im Handy ist eine Dreifachkamera verbaut, die Hauptkamera hat 48 Megapixel, die Frontkamera 25 Megapixel. Google-Anwendungen: Fehlanzeige.
Murena One: Ein Schlag gegen Datenkrake Google?
Nur: Kann ein Android-Smartphone ohne Google-Dienste wirklich erfolgreich werden? Der Informatik-Professor Kai Rannenberg sagt im Gespräch mit CHIP: „Ja, kann es – für eine Zielgruppe, die über die Sammlung von Daten durch Google besorgt ist, und der es zu kompliziert ist zu verstehen, wie und welche Daten Google im Einzelnen sammelt.“
Denn klar ist: Wer ein Android-Handy mit Google-Diensten nutzt, muss davon ausgehen, dass Informationen über ihn gesammelt werden. Standorte, der Suchverlauf oder die Häufigkeit, mit der einzelne Apps genutzt werden, sind nur einige Beispiele. Außerdem erfasst Google Daten über das verwendete Gerät, sein Betriebssystem und die IP-Adresse des Users.
„Wer Transparenz und stabile Garantien will, was sie/er für welches Invest an Daten bekommt, mag sich besser bedient fühlen“, sagt Rannenberg. Er weiß, wovon er spricht: Der Informatiker arbeitet an der Goethe Universität in Frankfurt, seit 2015 ist er Mitglied in der „Permanenten Gruppe der Interessenvertreter der Europäische Agentur für Netz- und Informationssicherheit“.
Beim Murena One gibt es einen entscheidenden Denkfehler
Zu Rannenbergs Schwerpunkten gehören Datenschutz und IT-Sicherheit. Dinge, die beim Murena One eine große Rolle spielen. Laut offizieller Ankündigung soll das Smartphone mit Browser-, Nachrichten- und Kamera-Apps ausgestattet sein , die das Nutzerverhalten nicht protokollieren. Über ein eigenes Tool namens App Lounge sind auch Installationen aus Drittquellen möglich. Nutzer werden dann darüber informiert, ob Tracker enthalten sind, und wenn ja, welche.
Murena arbeitet bereits seit Jahren an Android-Smartphones, die ohne Google-Dienste auskommen. Gründer Gael Duval schrieb 2017: „Ich brauche etwas, dass ich auch meinen Eltern oder Kindern empfehlen kann. Etwas ansprechendes, das Privatsphäre gewährleistet.“ Das hat er mit dem Murena One auch geschafft – zumindest teilweise. Denn ganz so einfach ist der komplette Google-Detox nicht.
Das zeigt ein genauer Blick auf das Murena One. Journalisten des Technikportals „The Verge“ stellten fest: „Die App Lounge ist zwar nicht der Playstore – aber im Grundsatz ist es der Playstore.“ Das mag erst mal komisch klingen, lässt sich aber einfach erklären. Denn die App Lounge enthält viele Anwendungen, die aus dem Google Play Store stammen. Zwar können Nutzer die Einstellungen so anpassen, dass ihnen nur Open-Source-Apps oder progressive Web-Apps angezeigt werden. Das schränkt die Auswahl laut „The Verge“ aber extrem ein.
„Möglicherweise ist das Murena One auch sicherer“
Und es gibt noch ein weiteres Problem. Über die Option „Advanced Privacy“ können Nutzer ihren Standort verschleiern. Wie „The Verge“ berichtet, führt das nicht nur zu Schwierigkeiten bei der Nutzung von Wetter- und Karten-Apps. Auch Anwendungen wie Netflix funktionieren offenbar nicht richtig, solange der Schutz aktiviert ist.
Rannenberg glaubt, dass das Murena One etwas für Personen sein könnte, „die Smartphones für ihre Kinder oder Eltern kaufen und die Gefahren limitieren wollen“. Als Zielgruppe sieht er „alle, die mit einem transparent definierten Funktionsset – etwa ‚klassisches Featurephone + Navigation‘ – zufrieden sind“.
Auch in Sachen Sicherheit könnte das Murena One laut dem Informatik-Professor von Vorteil sein. „Möglicherweise ist es sicherer als gängige Android-Smartphones, weil man den Android-Mainstream-Attacken entgeht, je nachdem wie sich /e/OS von Android unterscheidet.“ Rannenberg gibt aber zu bedenken, dass /e/OS viele Android-Apps unterstützt, „also werden zumindest manche Schnittstellen gleich oder ähnlich sein“.
Am Ende muss klar sein, dass sich Murena zwar um Datenschutz bemüht, diese Bemühungen aber an ihre Grenzen stoßen. Auch Murena-Nutzer kommen nicht komplett um den Google Play Store herum, es sei denn, sie geben sich mit einem stark eingeschränkten App-Angebot zufrieden. Google ist letztlich wohl zu tief in unserem digitalen Leben verwurzelt, um als Android-Nutzer vollends darauf verzichten zu können.
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